»Schattiges Licht – 25 Jahre Dayton«
Too many are still fighting the bosnian war
Ausstellung im Rahmen des
Europäischen Monats der Fotografie 2020
Titelbild: “Der Poet”
In Zeiten von erstarkendem Nationalismus haben Monumente für die Opfer und der Kampf gegen Faschismus einen schweren Stand. Die ehemalige Form des Partisanen Denkmals, im Volksmund “Die Faust von Tito” genannt, wurde im Jahr 2000 von Vandalen zerstört. Reduziert auf die Innenkonstruktion behält es seinen Charakter bei und steht wie der Rumpf eines Flaggschiffes weiterhin für den Kampf gegen Nationalismus und Faschismus auf dem Bergplateau am Makljen Pass in der Herzegowina.
In times of growing nationalism, monuments for the victims and battles against fascism have a hard time. The former shape of the partisan monument vernacularly called “the fist of Tito” fell into disrepair after the Bosnian war and got finally damaged by vandalism in the year 2000. Even reduced to the internal structures, the partisan monument maintains its charakter and stands like the hull of a flag ship for the fight against nationalism and facism on the mountain plateau at Makljen Pass in Herzegovina.
Das Friedensabkommen von Dayton hat im November 1995 die Kampfhandlungen des blutigen Bürgerkriegs in Bosnien und Herzegowina ( 1992 – 1995 ) beendet und den ersehnten Frieden gebracht. Mit dem Vertrag von Dayton wurde die multiethnische Gesellschaft für die Möglichkeit auf Frieden geopfert und die nationalistischen Kriegsziele, wie ethnisch-religiöse Zonen und ein geteiltes Land, fest geschrieben. Nicht vorgesehen, ist das Abkommen zu einer komplizierten, nicht reformierbar angelegten Verfassung geworden.
Die ersten freien Wahlen führten die Machtverhältnisse aus dem Krieg wieder ein. Eine hohe Korruption und Verstrickung der Politik in kriminelle Strukturen lassen seit dem jede positive Veränderung im Keim ersticken. Zu viele von ihnen kämpfen den Bosnienkrieg auf der bürokratischen Ebene weiter. Damit haben sie in den letzten zwei Jahrzehnten das Land in seiner Entwicklung in den Stillstand geführt und den eigenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg verursacht.
Die gravierende Folge aus diesem Stillstand und der ausbleibenden wirtschaftlichen Entwicklung ist die Abwanderung aus allen Landesteilen. Städte, Dörfer und Landstriche leeren sich. Das Ausbluten von Bosnien und Herzegowina spitzt sich dramatisch zu. Jeder Mensch der geht oder gegangen ist reißt eine Lücke in die bosnische Gesellschaft.
Mit der Absage weiterer Aufnahmegespräche für einen EU Betritt an die Westbalkanstaaten im September 2019 besiegelte die EU ihre Abschottung auch Richtung Südosteuropa. Mit der EU-Außengrenze auf dem Balkan führt 30 Jahre nach dem Fall der Mauer wieder eine starre Grenze durch Europa. Tausenden MigrantInnen stranden in Bosnien und bringen ein weiteres Spannungsfeld in die fragile Gesellschaftslage hinein. Alle MigrantInnen auf der Balkanroute, die keinen Zugang in eine Aufnahmestellen der IOM ( Internationale Organisation für Migration / UN ) erhalten, sind der Obdachlosigkeit ausgesetzt und müssen sich in wilden Camps durchschlagen.
Die stagnierte gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes ist ein Parameter für die EU geworden. In wie weit reicht ihr politischer Wille und Stärke noch, die festgefahrene Struktur ihres eigenen Protektorats neu zu ordnen und damit den notwendigen positiven Wandel nach europäischen Werten einzuleiten. Die Brisanz ist hoch. Gelingt ihr es nicht, verliert sie in einem europäischen Land weiter an Einfluss und weist auch auf ihren eigenen Zustand hin.
Die Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina musste mit aller zerstörerischen Konsequenz erleben, was es bedeutet, wenn Nationalismus sich in einer funktionierenden Gesellschaft ausbreitet und mit welcher Schnelligkeit er zur Spaltung und zum Krieg führt. Deshalb müssen die europäischen Länder mit der momentanen gesellschaftspolitischen Entwicklung in ihren eigenen Ländern sehr aufmerksam umgehen und das Wachsen des Nationalismus europaweit erkennen. Diese Gesellschaftsentwicklung ist eine Aufforderung sich für Demokratie, eine offene und tolerante Gesellschaft und ein gemeinsames Europa einzusetzen.
Die Farb- und Schwarzweißfotografien sind dokumentarisch angelegt und spiegeln ein erzählendes Bild der aktuellen Situation Bosnien-Herzegowinas wider. Die Aufnahmen sind aus einer beobachtenden Position heraus fotografiert, die bewusst ohne dramatische Aufladung im Motiv auskommt. Dieser Entschluss weist auf ein Zitat von Susan Sontag, die selbst im umkämpften Sarajevo war. Susan Sontag schrieb in ihrem Buch, das leiden anderer betrachten, dass die täglichen Nachrichten über die kriegsleidende bosnische Bevölkerung nichts anderes mehr sind, als abendliche Unterhaltung in den westlichen Wohnzimmern.
“Als ich Anfang März diesen Jahres am Flughafen in Tuzla ankomme, wartet schon ein Mitarbeiter der Mietwagenfirma an der Schranke zum Parkplatz auf mich. Drinnen am Schalter sieht er mich kurz an:“Du warst schon einmal hier. Ich kenne diese Augen.“.“Das stimmt“, antworte ich und erzähle ihm, dass ich wieder nach Bosnien zurückgekehrt bin, um zu fotografieren. Diesmal mit Blick auf 25 Jahre Dayton. Ich spreche ihn auf die Situation der gestrandeten, obdachlosen MigrantInnen in Tuzla am Busbahnhof und in Bihac an. Frage ihn, wie es sein kann, dass die verantwortlichen bosnischen Behörden und PolitikerInnen der IOM ( UN ) untersagen, durch den Bau neuer Unterkünfte mit Versorgung oder der Erweiterung der bestehenden Einrichtungen den MigrantInnen zu helfen. Er blickt mich an und sagt: „Ich lebe in einem verrückten Land. Zu viele kämpfen immer noch den Bosnienkrieg und zerstören das Land weiter.“ Während ich die Abschlussdokumente der Anmietung von ihm entgegen nehme und wir bis zum nächsten Mal verabschieden, realisiere ich, dass er der kommenden Ausstellung einen Untertitel gegeben hat.”
Vorgeschichte:
Der Serie „Schattiges Licht – 25 Jahre Dayton“ ist eine Zusammenarbeit zwischen York und der Dänischen Kunstgruppe Superflex im Jahr 2001 zur 2. Berlin Biennale in den KunstWerken vorausgegangen. Gemeinsam wurde das Projekt „Superchannel“ installiert. Ziel des Projekt war es in den Städten des ehemaligen Jugoslawiens Zagreb, Sarajevo und Belgrad Internetsendestudios einzurichten, über die die junge Generation ihre kreativen Beiträge und Musik teilen konnten. Die Errichtung eines Studios für die Jugend in Donji Lapaz ist an einer fehlenden Infrastruktur gescheitert. Im Superchannel Berlin waren die Beiträge der anderen Studios auch zu sehen und es wurden eigene Beiträge aus den KunstWerken gesendet. Die Superchannelstudios boten jungen Menschen eine Plattform, im damaligen Rahmen des aufkommenden Internetbroadcast, über die nationalistischen Einstellungen der älteren Generation hinweg, ihre Beiträge, Ideen und kreativen Arbeiten, wie z.B. Kurzfilme, Interviews und Musik zu präsentieren. Über Superchannel hatte die jüngere Generation der ehemaligen Kriegsgegner die Möglichkeit sich zu vernetzen und den Dialog zu stärken.
english short version:
»shady light – 25 years of Dayton«
Too many are still fighting the bosnian war
In November 1995, the Dayton Peace Agreement ended the bloody civil war in Bosnia and Herzegovina and manifested the nationalist war goals by dividing the country along ethnic and religious lines.
The first free elections cemented the balance of power from the war; since that time, every potentially positive change has been nipped in the bud. The serious consequences of this standstill and the lack of economic progress have led to massive emigration. Just as this population depletion is coming to a dramatic head, we see thousands of migrants stranded along the Balkan route on the EU’s outer border in Bosnia and Herzegovina, adding tension to an already fragile society. The country’s structural stalemate poses a serious challenge to the EU, which is called upon here to prove whether it has the requisite political will and strength to bring about the necessary positive change.
York Wegerhoff’s colour and black-and-white photographs are documentary in nature; together, they form a narrative picture of the current situation in Bosnia and Herzegovina.
“As I arrive at the Airport of Tuzla, a guy of the car renting company is expecting me at the entrance of the parking area. Inside, at the counter, he looks at me:“ You have been here before – I remember those eyes.“That’s true“, I am answering, „I returned to Bosnia to photograph again. This time with the focus on 25 years of Dayton.“ I ask him about the situation of the stranded, homeless immigrants at the Tuzla bus station and in Bihac. „Why do the Bosnian authorities forbid IOM ( UN ) strictly to build new facilities or to enlarge the existing ones, to help these people?“ He is looking at me and says:“ I am living in a crazy country – too many are still fighting the Bosnian war and destroy the country.“ I receive the final documents and we say goodbye till the next time, I realize that he gave my next exhibition a subtitle.”
Gedanken zu Srebrenica
Fotos: Srebrenica, Potočari
Klare Luft durchzieht die Straßen von Srebrenica. Es ist ein sehr leiser Ort. Nur das Bellen der wilden Hunde und das Hacken von Holz sind in diesen warmen Frühlingstagen zu hören. Das Städtchen, in einem engen Talkessel am Rand der östlichen Wälder Bosnien und Herzegowina in der Republika Srpska gelegen, ist in seiner Infrastruktur wieder aufgebaut. Drei Jahre Belagerung und Beschuss aus den Bergen und die Einnahme der Schutzzone der UN im Juli 1995 durch die Truppen der Republika Srpska, hatten den Ort weitestgehend in seiner baulichen, wie auch in seiner gesellschaftlichen Struktur zerstört. Die einst reiche Silberstadt ist im Vergleich der Einwohner-zahlen von 1991 und 2013 mit einem Bevölkerungsverlust von 2/3 eingeschrumpft.
Das wiederaufgebaute Srebrenica wurde mit neuen Straßen und Straßenbeleuchtungen ausgestattet. Alle Häuser, samt den im Ort noch stehenden Kriegsruinen, sind dogmatisch ans neue Stromnetz angeschlossen worden. Am Anfang des Stadtkerns, aus Potočari kommend, ein neues kleines Krankenhaus, eine neue Schule, eine neue Polizeistation und im Zentrum ein modernes großes Sportgelände für Freizeitaktivitäten, dessen Flutlicht bis spät in die Nacht die Dunkelheit durchbricht. Zwischen der wieder aufgebauten Moschee mit ihrem Minarett und der ebenfalls wieder errichteten orthodoxen Kirche steht symbolhaft das Gebäude der OSZE.
Die wiedererrichtete städtebauliche Infrastruktur würde in einem Computerspiel wie SimCity eine gute Voraussetzung sein, eine virtuell errichtete Stadt als lebensfähig anzulegen und zu einer gedeihenden Stadtentwicklung zu führen. Letzteres bleibt in Srebrenica seit Jahren aus. Dies liegt nicht nur an den tausenden vertriebenen und getöteten Einwohnern. Es liegt viel mehr am Umgang mit dieser jüngsten Geschichte des Ortes, an der ausbleibenden wirtschaftlichen Entwicklung der Gegend, die Tristesse und Perspektivlosigkeit mit sich führt. Und es liegt vor allem an der in ganz Bosnien bestehende Korruption der Politiker und deren Verbindungen zu kriminellen Strukturen, die auch in Srebrenica eine neue positive Entwicklung verhindert. Natur- und Erholungstouris-mus sollten die Gegend wirtschaftlich beleben. Im Zentrum der Stadt steht ein großer fertig-gestellter Hotelkomplex seit Jahren leer. Bei den Einwohnern heißt das Gebäude nur „the never opening hotel“. In anderen Stellen ein ähnelndes Bild. Ein großer Hotelrohbau liegt in den Bergen brach. Die Kredite wurden ausgezahlt und die Bauvorhaben nicht weitergeführt, weisen sie auch hier auf ein wesentliches Problem Bosnien und Herzegowinas hin.
Ein alter Mann aus Srebrenica, den ich auf einem Aussichtspunkt über der Stadt treffe, beschreibt die Situation so: „Srebrenica ist eine tote Stadt, nicht wegen der jüngsten Geschichte, sondern weil die junge Generation nicht hier her zieht und die, die hier sind, nicht bleiben können. Wir Alten sterben und schließen mit unserem Tod die Häuser hinter uns zu.“
Mir ist erst Monate später bewusst geworden, dass Srebrenica eine viel stärkere Wirkung auf mich hatte, als ich im ersten Moment zugelassen habe. Dass der erzählende Fluss unterhalb des Sichtbaren so viel stärker ist, als ich das realisiert habe und so viel stärker auf mich gewirkt hatte, als ich mir das eingestanden habe.
Ich wohne in meiner Zeit in Srebrenica bei Fatima, einer älteren allein lebenden bosnischen Frau, die 2001 in ihr zerstörtes Haus zurückgekehrt ist. Während des Frühstücks versuchen wir uns mit meinen wenigen Worten bosnisch und ihren doch mehr Worten deutsch zu unterhalten. Ihr Wohnraum wird mit einem kleinen Holzofen beheizt und ist zeitgleich ihre Küche. Unweigerlich kommen wir in den wenigen Worten, die wir wechseln, auf das Wesentliche zu sprechen. Auf dem veralteten farbigen Kalenderblatt hinter mir ist Tito zu sehen und daneben eine Fotografie eines Mannes. Ihr Ehemann Meho. Ich frage sie, was mit ihm ist. Sie legt kurz ihr Strickzeug weg, schaut mich an und zieht sich den Zeigefinger mit einer Kehle-durchschneidenden-Bewegung am Hals vorbei. Beide haben gemeinsam die drei Jahre Belagerung und Beschuss durchgemacht. Sie selbst war in der Zeit der Übernahme der Truppen unter Befehl von Mladić im UN-Lager Potočari.
Mit dem Abzug des holländischen UN Bataillons, dessen Aufgabe der Schutz der bosniakischen Bevölkerung war, wurde das Versagen der UN Mission und der internationalen Gemeinschaft besiegelt. Das Gedenken an den Massenmord von Srebrenica ist in Bosnien und Herzegowina ein polarisierendes Thema mit verschiedenen Ansichten. Außer Frage steht hier die Verurteilung des Kriegsverbrechens an der Bevölkerung. In der Föderation taucht Srebrenica als Mahnung an die Opfer und die Verurteilung des serbischen Kriegsverbrechens sehr ausgeprägt auf. In der Republika Srpska wird das Thema eher mit Schweigen bedacht oder mit den eigenen Opfer des Krieges, durch die Kriegsverbrechen der kroatischen Armeen sowie der Brigaden der Lilien, aufgerechnet. Alle Kriegsverbrechen sind zu verurteilen und zu verachten.
Vielleicht wäre es ein symbolischer Anfang eines neuen gemeinsamen Umgangs mit der jüngsten Geschichte und eine neue Ebene der Versöhnung, ähnlich eines Kniefalls, wie der von Willy Brandt am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos, neben der serbische Fahne an der Polizeistation in Srebrenica auch die Nationalfahne Bosnien-Herzegowinas zu hissen und an jedem 11. Juli beide für drei Tage auf Halbmast zu setzen. Diese Zeit wird kommen.
York Wegerhoff, Bosnien und Herzegowina, Srebrenica und Potočari 2018 / 2019